LISA
Lisa-in-Enge-Vidu

ERFAHRUNGSBERICHT PRAKTIKUM ENGA VEEDA

Oktober 2013 – Januar 2014

Indien- ein für mich unbeschreibliches Land! Unbeschreiblich vor allem aufgrund der vielen facettenreichen sowie auch widersprüchlichen Impressionen, die ich in den drei Monaten erlangt habe: Das Land beeindruckt mit lebendigen und offenen Kultur, den bunten Farben, den zuvorkommenden Menschen, der indischen Küche, den Gerüchen den wunderschönen Tempeln, der Lebendigkeit und Herzlichkeit sowie der Vielfalt an Riten, Sprachen, Natur und vor allem Lebensfreude. Auf der anderen Seite erschreckt es mich durch die große Zahl an Armut, elenden Zuständen der Unterschicht, die große Kluft zur Oberschicht, der Rolle der Frau, das Kastensystem, der Dreck und Müll und dem täglichen Chaos und Gewusel. Noch heute mit einigem Abstand zu dem Land fällt es mir schwer, eine abschließende Meinung aufgrund der vielen Widersprüche zu bilden – und genau dies ist es was auch so eine große Faszination zu Indien auslöst und weswegen ich dankbar und glücklich bin, diese unglaubliche Zeit mit vielen Eindrücken als auch Höhen und Tiefen erleben zu dürfen.

Gerade aufgrund der uns so fremden Kultur war ich somit froh, dass zu Beginn meines Praktikums Thiru, Michael und Gabi mit in Indien waren und mir so die indischen Gepflogenheiten zeigen und auch erklären könnten. Es wurde sich super um mich gekümmert und ich hatte die Möglichkeit, auch mit ins Blindenheim zu fahren sowie andere Ausflüge und angehende Projekte mitzuerleben. Diese ersten Wochen waren die intensivsten in meinem Leben, gepaart mit einer totalen Reizüberflutung. Trotz des Kulturschocks (obwohl ConAct mich in Deutschland super auf Indien, die Kultur und das Kinderheim vorbereitet hatte) fühlte ich mich im Kinderheim sofort wohl und Zuhause, dies ist vor allem Samatham und Usha, die einen herzlich wie ein weiteres „Kind“ aufnahmen und kümmerten, wie auch den offenen Kindern, zu denen man sofort eine Bindung aufbaute, zu verdanken. Ich fühlte mich wie in einer großen Familie, bekam tiefe Einblicke in die Geschichte und Persönlichkeiten der Kinder, aber hatte auch meinen eigenen kleinen Rückzugsraum (in Indien großer Luxus!), und konnte mich bei Problemen und Fragen immer an Samatham, Usha oder auch Valli wenden. Auch nach Abreise der ConAct-Vorsitzenden stand ich regelmäßig mit Thiru in Kontakt und könnte vieles mit ihm besprechen- eine wirklich hervorragende Betreuung!
Nach einiger Zeit Eingewöhnung kam ich schnell im indischen Leben und meinem Alltag an: Es wurde immer sehr früh aufgestanden und ich habe Usha nach dem morgendlichen (extrem süßen!) Tee in der Küche beim Gemüse schnippeln und Reis kochen geholfen, während sich parallel die Kinder wuschen, Wäsche machten und Hausaufgaben erledigten. Den kleineren Kindern half ich anschließend oft bei der Schuluniform oder den Frisuren, oder fragte Schulaufgaben ab. Vor dem gemeinsamen Essen wurde jeden Morgen gemeinsam gebetet, anschließend brachte ich die Kinder zur Bushaltestelle. Die darauffolgende freie Zeit verbrachte ich dann meistens hinten auf Samathams Roller und habe den realen indischen Alltag mit all seinen Facetten kennengelernt: Sei es Arztbesuche, Schulbesuche, Großeinkäufe, Behördengänge, Familienbesuche, Tempel u.v.m., näher an der indischen Bevölkerung und deren Leben konnte man nicht sein! Nachmittags holte ich die Kinder wieder von der Schule ab und nach einer kleinen Stärkung startete ich mit einer kleinen Gruppe von Kindern jeden Tag ein Projekt. Wir haben viel gebastelt, gemalt, Ketten und Armbänder gemacht, englisch geübt, gespielt, etc. Auch wenn die Möglichkeiten aufgrund der Materialen begrenzt war (ich hatte extra aus Deutschland spezielles mitgebracht), hat es wahnsinnig Spaß gemacht gemeinsam mit den Kindern etwas zu entwickeln und deren Begeisterung mitzuerleben! Aber selbst danach war für die Kinder noch nicht Schluss, sondern es folgten Hausaufgaben und Lernen, wo ich auch versucht habe zu helfen. Nach dem Essen fiel ich dann irgendwann genauso kaputt ins Bett wie die Kinder, obwohl mein Pensum längst nicht so extrem war wie das von ihnen.
Aber die vielen neuen Eindrücke jeden Tag schlauchten einen doch mehr als man zuvor denkt, auch wenn man sich nach einer Zeit interessanterweise an Vieles gewöhnt: Den Dreck, Geruch, viele Krabbeltiere, die strengen Regeln im Heim (ohne die aber nichts laufen würde) und sogar das scharfe Essen. Die ersten Wochen war ich wirklich verzweifelt und wusste nicht, wie ich dreimal am Tag Reis mit einer scharfen Soße essen sollte, aber nach drei Monaten habe ich mit erstaunlicher Weise sogar schon früh morgens bei dem Reisgeruch auf das „Frühstück“ gefreut und auch die Schärfe vertragen (und mittlerweile ist indisches Essen einer meiner Lieblingsgerichte). Trotzdem darf man auch die körperliche Belastung durch die uns ungewohnte Hitze und Feuchtigkeit nicht unterschätzen, oder auch Magenkrämpfe durch Gewürze/unreines Wasser etc., wie aber auch unerwartete Probleme einer chronisch entzündeten Kopfhaut. Bei solchen Problemen kam dann auch erschwerend die Sprachbarriere hinzu, da Samathams Englisch wirklich gewöhnungsbedürftig war und somit tiefgründige Gespräche schwierig waren. Nichts desto trotz taten die Usha und Samatham wirklich das Beste, dass es mir immer gut ging und kümmerten sich toll um mich! Außerdem habe ich dadurch sehr gelernt, an solchen Schwierigkeiten oder auch Unklarheiten und Verständnisprobleme zu wachsen und meine kulturellen und sozialen Kompetenzen zu steigern.
Rückblickend war Indien einer der intensivsten und interessantesten Zeiten meines Lebens, in dem ich so viele verschiedene prägende Eindrücke erfahren habe und dadurch meine Persönlichkeit weiterentwickeln konnte. Vor allem die Erkenntnis, in welchem Überfluss wir in Deutschland leben und welche nicht selbstverständlichen Privilegien wir haben, beschäftigt mich noch sehr und führt dazu, dass man viele Dinge anders wertschätzt und mit einem Bewusstsein erfährt. Denn wenn ich eins gelernt hab, dann ist es, dass man auch mit sehr wenig glücklich und zufrieden sein kann – und für diese wertvolle Erfahrung bedanke ich mich bei ConAct!

Lisa Ahrens

 

unsplash